“Die Kunstvermittlung bekommt auf documenta 12 einen besonderen Stellenwert und eine eigene Architektur. Im Unterschied zu der Tendenz, Kunstvermittlung als Dienstleistung und Marketinginstrument zu verstehen, soll sie bei der nächsten Weltkunstausstellung im Juni 2007 als Anwältin der Kunst und als Gegenüber des Publikums auftreten."
|
---------(english version below)---------
Schwer zu vermitteln - Kunstvermittlung der documenta 12
von Pascal Unbehaun
Wenn man nicht an zentraler Stelle von einem “besonderen Fokus auf der Kunstvermittlung” spricht, braucht man sich als Kurator anscheinend in der europäischen Ausstellungslandschaft nicht mehr blicken zu lassen. Dagegen ist natürlich zunächst mal nichts einzuwenden, schließlich klingt Vermittlung mindestens höchst unverfänglich, wenn nicht sogar volksnah und gleichsam Verantwortungs- und Qualitätsbewusst. Was vermittelt werden muss, kann ja nur tiefsinnig sein. Bei aller Verschiedenheit der Auffassungen über Vermittlung gibt es jedoch einen Konsens: erst kommt die Kunst, dann die Vermittlung. Diese Abfolge muss keineswegs zeitlich sein, aber inhaltlich: Die Kunst ist, wie sie ist, da kann man nichts machen. Und wird eben so gut es geht vermittelt.
Eine kurze Bestandsaufnahme: documenta 12
“Die Kunstvermittlung bekommt auf documenta 12 einen besonderen Stellenwert und eine eigene Architektur. Im Unterschied zu der Tendenz, Kunstvermittlung als Dienstleistung und Marketinginstrument zu verstehen, soll sie bei der nächsten Weltkunstausstellung im Juni 2007 als Anwältin der Kunst und als Gegenüber des Publikums auftreten. Sie wird sich der Aufgabe widmen, sich mit den BesucherInnen über die Dinge, die wir nicht verstehen, auseinanderzusetzen.” (Webseite der documenta 12)
Die Vermittlung ist also von der Kunst klar getrennt, sie hat ihre eigene Architektur. Könnte sie (die Vermittlung) die Kunst stören? Hat sie nicht mit der Kunst irgendwie zu tun? Sie steht weiterhin dem Besucher “gegenüber” und muss sich mit ihm über Dinge auseinandersetzen die er, pardon: die “wir” nicht verstehen. Die oben erwähnte Abfolge wird also eingehalten, und die Kunst hat eine Anwältin nötig, sie fühlt sich möglicherweise irgendwie schuldig.
“Diese gemeinsame Auseinandersetzung braucht Zeit und Raum. Deshalb werden die Führungen auf documenta 12 zwei Stunden dauern. Und deshalb wird es eine eigene Architektur geben, die dieser Auseinandersetzung einen Raum schafft: Palmenhaine.”
Palmenhaine? Auch wenn es sich hier nicht wirklich um solche handelt soll doch klargemacht werden, daß starke Geschütze aufgefahren werden. In einer Pressekonferenz hat man sich beinahe dafür entschuldigt, dass es keine Führung unter zwei Stunden geben wird. Als könnte man dem Besucher in einer Stunde nichts mitgeben, in zweien aber schon. Oder gelten mehr als zwei Stunden Zeitaufwand als unzumutbar viel um die zeitgenössische Kunst zu vermitteln? Was wäre, wenn es nicht um Kunst, sondern um Biochemie oder Physik ginge. Entschuldigung, aber es dauert zwei Stunden?
Wie sieht sie nun aus, die Vermittlung. Folgen wir dem Link wird das eigentlich interessante Zeitschriftenprojekt nicht erwähnt, stattdessen dreimal Führungen für verschiedene Gruppen, dann Führungen von Schülern (eine gute Idee) und als Krönung des Vermittlungshandwerks: Führungen mit iPOD. Die Vermittlungsmetaphorik der documenta zielt bestenfalls auf eine intensive Verbrüderung der Institutionen mit dem Publikum ab, die Künstler werden nicht erwähnt. Genug von der documenta, sie steht nur als Beispiel.
Kunstvermittlung und Vermittlungskunst
Man könnte fast auf die Idee kommen, dass das Problem nicht bei der Vermittlung liegt, sondern bei der Kunst. Zunächst einige Disclaimer: Dies soll keinesfalls heißen, die Kunst müsse selbsterklärend sein. Das verlangt man nicht von der Biochemie und sollte es auch nicht von der Kunst verlangen. Auch heißt es nicht, dass Vermittlung unnötig oder gar falsch wäre. Dennoch ist es irgendwie merkwürdig, dass die Künstler mit dieser Frage anscheinend überhaupt nichts zu tun haben. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie ein Kurator vor einem Werk steht und sich denkt: Au weia, wie krieg ich das bloß vermittelt. Hier müsste natürlich das Thema jeweils im Einzelfall diskutiert werden. Dennoch seien einige allgemeingehaltene Fälle genannt.
Zunächst ist da die stark subjektive oder neosubjektivistische Kunst. Sie rückt die Erlebniswelt, Empfindungen und persönlichen Erfahrungen des Künstlers in den Mittelpunkt. Wie können diese dem Betrachter vermittelt werden? Ich weiß es nicht, aber ich würde vermuten, daß das Werk dies aus sich selbst heraus schafft, schließlich ist das sein Thema. Ist die Intention hingegen schwer nachvollziehbar sei die Frage erlaubt, warum sich der Betrachter überhaupt für die Gefühle des Künstlers interessieren soll. Ich halte das keineswegs für eine offensichtliche Sache. In jedem Fall sollte der Künstler sich die Frage einmal gestellt haben.
Dann gibt es Kunst, die relativ komplex ist: Um sie zu verstehen ist viel Hintergrundwissen nötig, z.B. über ein geschichtliches Ereignis, oder die spezielle politische Lage im Heimatland des Künstlers. In diesem Fall könnte man den Künstler durchaus mal fragen, wie er sich die Sache vorgestellt hat. Wenn das geschichtliche Ereignis nicht den meisten geläufig ist, hat das Werk dann heute noch Relevanz? Wenn die Politik des Landes nicht bekannt ist und das Werk sich fremden Publikum nicht plausibel mitteilt - was will dann diese Kunst, was sind ihre Absichten?
Weiterhin gibt es Kunst, die in erster Linie für andere Künstler (stellvertretend für andere, spezielle Interessengruppen) interessant ist, weil sie sich auf brancheninterne Gegebenheiten oder spezielle Themen bezieht - oder besonders stark auf andere Kunst. Ist das so schwer zu vermitteln? Für die Künstlerkollegen reicht ein Zettel mit einer kurzen Erklärung, und für alle anderen ist das Werk nicht besonders interessant, da kann man vermitteln so viel man will.
Entfernen wir uns von den Beispielen und versuchen etwas Ordnung in diese Gedanken zu bringen. Wenn Vermittlung ins Spiel kommt, könnte man folgende Fälle unterscheiden:
1. Es fehlt ein Mindestwissen zu einem speziellen Werk/Künstler
2. Auch wenn viel zu Werk und Künstler bekannt ist, kann ohne Vermittlung fast kein Besucher dem Werk irgendetwas entnehmen
3. Es fehlt allgemein an Wissen und Kompetenzen im Bereich Kunst und Kultur.
Fall 1 ist etwas für die klassische Kunstvermittlung, gerne auch mit iPOD im Palmenhain. Dies ist allerdings keine große Sache, die man besonders betonen müsste. Fall Nr. 2 ist schon eher ein Problem der Kunst selbst. Der Künstler sollte sich vorher schon überlegt haben, wen er wie ansprechen möchte. Manche Kunst scheint aber das Problem der Vermittlung geflissentlich zu ignorieren und mittles des Geniegedankens die Verantwortung auf die Rezipienten oder die Institutionen abzuwälzen. Wenn ihr mich nicht versteht, dann ist das euer Problem. Der 3. Fall ist symptomatisch. Wenn Politiker feststellen, daß Schüler sich an Gewaltfilmen auf ihren Handys ergötzen, dann fordern sie ein Handyverbot an Schulen. Das ist zwar vollkommen verfehlt, aber eine Schlagzeile wird es immerhin bringen. Die wesentlich sinnvollere Frage wäre: was stimmt nicht mit einer Gesellschaft, in der die Schüler so etwas überhaupt wollen? Sind nicht grundlegende Ziele der Erziehung und Bildung verfehlt worden? Dasselbe scheint mir auf die Kunst zuzutreffen. Wenn wir konstatieren müssen, dass die heutige Kunst für die meisten Menschen unverständlich, uninteressant oder einfach vollkommen wertlos ist - müsste dieses Thema nicht das beherrschende Thema der Kunst selbst sein? Müsste, um das Wortspiel noch einmal zu strapazieren, statt Kunstvermittlung nicht Vermittlungskunst produziert werden? Dies setzt voraus, daß Künstler, Institutionen und Rezipienten sich darüber klar werden, was sie von Kunst überhaupt erwarten. Bei den Rezipienten bin ich mir relativ sicher - sie erwarten nicht viel. Über die beiden anderen Gruppen möchte ich nicht spekulieren.
------------ english translation --------------
Some thoughts on art mediation (documenta 12)
Pascal Unbehaun
As a curator, talking about art mediation seems to mandatory nowadays. I won't object to this- mediation sounds down-to-earth and responsibleat the same time. It's for the 'people'. What has to be mediated is probably highly complex and can't be superficial. Obviously the seems to be one main consensus about mediation: first comes art, and then art mediation. Art is what is is and we cannot do anything about it. So to make the best of it, we try to mediate it.
“Art mediation and education is in special focus on documenta 12. It has its own architecture. In contrast to the tendency to understand art mediation as service and marketing instrument it appears on this world art exhibition as an attorney of the arts and as counterpart to the public. Art mediation will dedicate itself to the task of argueing with the visitors about the things we do not understand.” (former web page documenta 12)
Thus, the art mediation is separated from art itself and has its own architecture. Might it somehow disturb the art or interfere with it? Shouldn't it be connected to art somehow? Furthermore, it is a "counterpart" to the visitors and will argue with them about things which “we” do not understand. That's the already mentioned sequence of first-art-then-mediation. And art is in need of an attorney, too. Does it feel guilty?
“The collective dispute needs time and space. Therefore the guidance tours on documenta 12 will last two hours. And therefore it will get its own architecture, which creates a space for this dispute: palm groves.”
Palm groves? We are obviously getting serious, now. In a press conference documenta officials almost apologized for the fact that there are no guided tours shorter than two hours. As if one could not mediate anything to the visitors in one hour - but in two. Or are two hours considered as unreasonably much to explain contemporary art? What, if it wasn't about art, but biochemistry or physics. We apologize, but it'll take two hours to explain?
So how does the mediation look like? If we follow the weblink, the actually interesting magazine project is not mentioned, instead, guidance tours for different groups, then guidance tours for pupils (a good idea, actually) and as cream of the crop: guided tours with an iPOD. At best, this is a metaphor of intensive fraternization of the institutions with the public. But the artists are not mentioned at all. But enough of documenta 12, it's just an example.
Art mediation and mediating art
One might come to the conclusion that the problem is not the mediation, but art itself. First, a disclaimer: I'm not saying that art must be self-explanatory. Nobody demands this from biochemistry, why should we demand it from art. Neither does it mean that art mediation is unnecessary or wrong. But nonetheless, it's somehow strange that the artists don't have anything to do with this question, apparently. We may imagine a curator standing in front of an artwork, thinking: Oh-oh, how shall I mediate this! Naturally, the whole topic would have to be discussed in individual cases. But let us look at a few very general examples instead.
First there is strongly subjective or 'neosubjective' art. It focuses on experiences, feelings and personal impressions of the artist. How can these be transmitted to the viewer? I do not know, but I would assume that the work would manage to do this right out of the box, because this is what it is all about, isn't it? However, if the author's intention is not really understandable, we may ask why the viewer should be interested in the artist's feelings at all. I really don't think this is an obvious question. In any case the artist should have thought about this in the first place.
Then there is art which is relatively complex: To understand it, much background knowledge is required, i.e. about some historical event, or the special political situation in the artists's country. In this case one could ask the artist, what he had in mind. If the historical event is not common to most of the recipients, why is the work relevant? If the country's politics is not common and the work does not communicate itself to a foreign public in a plausible way - what does this art want then, what are its intentions?
3rd example. Art, which is interesting primarily for other artists (representing any other special interest groups), because it refers to 'context' stuff, or special topics. Is this so difficult to mediate? For peers, a note with a short explanation will do, and for the rest the work is not particularly interesting, let alone understandable.
Let's try to bring some structure into the whole concept. If art mediation is necessary, we may have one of the following cases:
1. the recipient is lacking some minimum of background knowledge concerning the artwork/artist
2. even if much is known/explained about the work, almost no recipient can draw anyething from the work without mediation.
3. there is a general lack of knowledge 'skill' concerning art/culture.
Case #1 is something for the classical art mediation, with iPODs in the palm grove if you prefer. This, however, is no big deal and standard among large exhibitions. Case no. 2 is a problem intrinsic to the artwork. The artist should have thought about whom he wanted to address beforehand. But some artists seem to ignore this and to use the concept of the genius to shift the responsibility to the public and the institutions. If you do not understand me, then this is your problem.
The 3rd case is symptomatic. Imagine a politician states that we should take care that kids don't watch explicit videos depicting strong violence on their mobile phones. As a consequence, he demands a ban for mobile phones for kids. This, of course, leads nowhere, but will yield some headlines in the press. The substantially more meaningful question would be: what's wrong with a society in which kids want to watch such stuff at all? Did we fall short of educational objectives? Now, the same idea seems applicable to art. If we must state that today's art is irrelevant or simply appears to be perfectly worthless for most people – shouldn't this problem be a main topic for art? Don't we maybe need art that implicitly mediates itself instead of external mediation? For this, recipients, institutions and artists have to realize what they expect from art at all. I'm pretty sure about the recipients – they don't expect much. I wont speculate about the latter two groups.
|