Dr. Ulrike Ritter über Appropriation und das wörtliche Herumtragen der Dinge in der Kunst, wie Beispielsweise in den Aktionen von Florian Slotawa.
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APPROPRIATION ART
Aneignung, Anschauung, Referenz und Diskurs
Eine Erinnerung an das dekonstruktive Potenzial der Appropriation Art
Vor ca anderthalb Jahren erklärte Pascal Unbehaun(1), dass
und warum Referenz als explikativer Begriff eines Kunstwerks Begriffen wie Autor, Technik, Thema
etc. gleichzusetzen sei. Die Art und Weise der Bezugnahme auf die Welt innerhalb des „White Cube“
von Galerien und Museen der Gegenwartskunst sei so zum originären Bestandteil zeitgenössischer
Werke geworden, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Werk und Welt – die Angewiesenheit
auf den institutionellen Rahmen des White Cube – nicht mehr stelle. Die Gegenwartskunst hätte quasi
ihr eigenes Gewebe entwickelt, das sie in der Welt frei flottieren lasse und auch die Frage nicht mehr
erlaube, was sie - im Vergleich zur Welt jenseits des White Cube – eigentlich sei:
„Art is leaving the game grid, moving in its own complement. But, using some more terminology of set
theory, doesn't art have to be a subset of the real world to differ from it and to look at it from a
distance? If we would remove the protective shell of the white cube it would appear to us as if we
couldn't tell art from the real world anymore. As a consequence, would art die a heat death?*1 I won't
speculate on how art will develop in the future. Right now, this art can be seen as referring to art – the
concept of the 'reference' is crucial to it. In addition to that I think that the connection to the protective
shell mentioned above is not coincidental – the question of what has to be protected at all has become
obsolete.“
Referenz wird von Unbehaun nicht nur als im Modus differenzierbarer Begriff entwickelt, sondern
auch in ihrem Inhalt, als Referenz von Kunst auf Kunst, wobei jedoch die herangezogenen
Definitionen des Begriffs aus Wissenskanon und Philosophie schon hinreichend sind, um, bevor
überhaupt spezifiziert werden kann, am Beispiel und mit Hilfe der Kunst die Fundamente des Begriffs
einer entwickelnden Dekonstruktion zu unterziehen:
„Brockhaus defines the reference as 'a relation between linguistic signs and objects outside of language'.
It is difficult to give a solid definition since words like 'link' and 'relation' have to be used which are
almost synonyms. Apparently, the reference is a most elementary, if not axiomatic, idea.“
„Reference“ derives from (re-)ferre, lat. to carry sth. (back), to retrieve sth. Derrida's idea of the
'différance' originates there, too: dis-ferre, to carry apart. In german, the 'Referendar' (junior lawyer) is
the one to get the files from the archive.“
So ist klar, dass Derridas Referieren doppelsinnig ist: Es ist ursprünglich unsymbolisch – kein
sprachlicher Akt sondern lediglich das konkret körperliche Herumtragen von Büchern, wenn auch
vielleicht angeleitet durch Zettel mit Hinweisen auf Signaturen oder Titel, die mit denen der
heranzuholenden bzw. der zu tragenden Disc-, Octav-, Quart- oder Folio-Objekte übereinstimmen.
Sowie Derrida also den Begriff einerseits auflöst zum Signum eines Diskurses, der lediglich aus dem
Herumzerren, Ein- und Verspielen, Vertreiben, Verlagern und Verlegen von so in ständiger
Verfremdung begriffenen Symbolgebilden besteht – so führt er ihn auch zurück auf mehr oder minder
mechanische, objektorientierte, physiko-realistische Alltagsstrukturen – in denen Referenz gerade den
Aspekt nicht mehr hat, den der Brockhaus und die Sprachwissenschaften üblicherweise damit
verbinden: das symbolisch-sprachliche Referieren. Derridas Hinweis macht vielmehr klar, dass ein
Referat auch daraus bestehen könnte, dass man quasi stumm aufgeschlagene Buchseiten in einer
Gruppe andernorts Zusammengekommener, einem universitären Colloquium z.B., herumzeigt. Und
tatsächlich ist das natürlich so, - ein Grund vielleicht, warum Derrida an den Universitäten immer
unbeliebt geblieben ist. „Nun sagen Sie doch bitte etwas dazu“, „Und was sollen wir dem nun
entnehmen?“ - solch etwas ungeduldig-auffordernde Nachfragen des Professors/der Professorin sind
wohl antizipierbar. Dennoch wäre eine schriftliche Ausarbeitung, mit ordnungsgemäßem Deckblatt,
Inhaltsverzeichnis, Überschriften mit Buchtiteln etc., wohl im Zweifelsfall mindestens „ausreichend“, je
nach Qualität des Herumschleppens – also der Fundstücke – vielleicht sogar „ausgezeichnet“ !
Warum sich also zwingen lassen, viel herumzureden, überflüssig oder gar spekulativ herumzuerläutern,
die *Referenzen* mit okkasionellem Schmutz zu bewerfen?
Reines Zeigen ohne den okkassionellen Schmutz oder Schmuck langer Worte...
Wir sehen, - wie Derrida – dass es den Radikalpositivismus dieser Art in den Wissenschaften
strenggenommen nicht gibt. Die „Referenz“ in diesem Sinne ist meistens – man würde sagen,
vernünftigerweise – Mittel zum Zweck, nur Stützpfeiler einer neuen Textwoge, Theorie, ihrer
Sprachwelle. Radikalpositivisten, die im Colloquium nur „referieren“ bzw. ihre Referenzen vorlegen,
sind längst in die Kunst verwiesen. Dort nämlich herrscht, insbesondere in der Gegenwartskunst, das
reine kommentarlose Herumzeigen vor, das von VermittlerInnen, RezipientInenn oder auch den
KünstlerInnen selbst umhüllt werden kann in Versuche, es auch symbolisch mit sich fortzutragen und
in beliebige Kontexte zu verschleppen. Die ästhetischen und kunstinternen stellen, aus dieser Sicht, nur
ein besonders dichtes Feld dar, sind aber ansonsten gegenüber dem Prinzip des Herumzeigens als dem
Manifestem in der Kunst, nicht offensichtlich privilegiert.
Jetzt könnte man behaupten, der Vergleich, es handele sich bei Gegenwartskunst um lediglich irgendwo
entfernte Objekte, die im Rahmen von entsprechend als Kunstereignis deklarierten Zusammenkünften
vorgezeigt werden, scheitere an der Kreativität der KünstlerInnen, die schließlich eigene Werke schüfen
und sie nicht einfach nur aus dem Regal nähmen.
Doch wie auch Pascal Unbehaun seine Überlegungen zum Begriff der referenziellen Kunst gerade an
Gegenwartskunst verankert, die exakt nur in der von Derrida beschriebenen Weise „verschleppt“, ist
es neben der allgemeinen Etablierung von Kunstwerken, die ihren eigenen Gestaltungsimpuls wohl als
minimale Formgebung im Sinne der oben erwähnten „schriftlichen Ausarbeitung“ sähen, zu einem fast
dominanten Zug der Gegenwartskunst geworden, nur noch „anzuordnen“, bereits (eigentlich
andernorts) vorhandene Objekte (oder, etwas extremer, Ideen) in einem neuen Colloquium
vorzuzeigen. Kunst, die ausdrücklich so verstanden werden soll, nennt sich „Appropriation Art“.
Im unhintergehbaren Universallexikon Wikipedia findet sich eine Definition, die einer gewissen
Bemühtheit nicht entbehrt:
„Appropriation Art (englisch "appropriation" = Aneignung), auch deutsch gesprochen Appropriation,
ist eine Ausdrucksform des zeitgenössischen künstlerischen Schaffens. Sie wird meist der
Konzeptkunst zugeordnet, weil das Verständnis der zugrunde liegenden Überlegungen und Theoreme
wichtig für ihr Verständnis ist.
Im engeren Sinn spricht man von Appropriation Art, wenn Künstler bewusst und mit strategischer
Überlegung die Werke anderer Künstler kopieren, wobei der Akt des Kopierens und das Resultat selbst
als Kunst verstanden werden sollen (andernfalls spricht man von Plagiat oder Fälschung).
Im weiteren Sinne kann Appropriation Art jede Kunst sein, die sich mit vorgefundenem ästhetischem
Material beschäftigt, z. B. mit Werbefotografie, Pressefotografie, Archivbildern, Filmen, Videos etc. Es
kann sich dabei um exakte, detailgetreue Kopien handeln; es werden aber auch oft in der Kopie
Manipulationen an Größe, Farbe, Material und Medium des Originals vorgenommen.
Diese Aneignung geschieht in der Appropriation Art meist in kritischer Absicht. Ohne diese kann man
auch von einer Hommage sprechen.“
Die Angst, Falsches zu sagen oder Begriffe nicht hinreichend *differenziert* zu sehen, konfligiert in
diesen Erläuterungen mit dem Gegenstand der Analyse und wirkt so durch den penälerhaften Stil eher
trivialisierend. Besonders auffällig ist, wie die klassische Kraft der Appropriation Art im Sinne des
Derrida'schen Referenz-Begriffs durch die vorschnelle Klassifikation als Konzeptkunst ausgehebelt
wird. Ferner trägt zur trivialisierenden Einordnung in das sich kreislaufgerecht fortspinnende, sich nur
plätschernd wandelnde Flüsschen der Kunstentwicklung bei, dass sich in dieser Darstellung die
zeitgenössische Appropriation Art durch 'Vorläufer' wie die dadaistischen und surrealistischen Objets
trouvés auf eine Zuspitzung des bereits Bekannten reduzieren lassen muss. Zu betonen wären in
diesem Rahmen jedoch viel mehr die Unterschiede. Denn was die Appropriation Art von klassischen
Bezugnahmen von Kunst auf Kunst unterscheidet – die der Wiki-Artikel ebenfalls subsumiert – ist,
dass die „aneignende“ Kunst nicht konkurrierend Bezug nimmt. Individuelle Bezugnahmen von
KünstlerInnen auf Werke von KollegInnen, Vorgänger und Vorbilder, sind innerhalb jeder noch so
klassischen Disziplin in den Künsten üblich und quasi schon durch die Schulenbildung, die
handwerkliche Basis des Berufs und die lange Tradition in kirchlicher, höfischer oder individuellmarktorientierter
Programmatik tatsächlich Standard – man denke z.B. an Variationen der „Allegorie
der Malerei“ oder selbst Kunststückchen wie die Darstellungen von Spiegeln und Lichtreflexen.
„Referenzen“ in diesem Sinne erfüllen den Zweck, dass man kein weniger wertvolles oder preiswertes
Werk liefert, als es ein(e) Konkurrent(in) geliefert hätte. Der Weg von diesen Referenzen zu den
Derrida'schen, die die offensive Kraft der gegenwärtigen Appropriation Art benennen, führt gerade
nicht über den theoretischen Zweig, sondern über den klassischen Aspekt der Anschauung.
Die Anschaulichkeit des Referierens kennen kunsttheoretisch Interessierte von einem bedeutenden
Kunstästheten der klassischen analytischen Philosophie. Die analytische Philosophie pflegt den Begriff
„Referenz“ eigentlich in seiner höchsten logisch-semantischen Strenge (als extensionalen Objektbezug
im Gegensatz zu den intensionalen, sprachlichen Bezügen – zu verstehen an Freges Unterscheidung
zwischen dem Himmelskörper (Extension, Referenzgegenstand) und dem Erscheinungsbild am
Morgen- oder Abendhimmel („Morgenstern“ und „Abendstern“ als unterschiedliche Intensionen für
dasselben Objekt, auf das der Ausdruck „Venus“ (als Ausdruck für einen Planeten) extensional
referiert).
Der Vertreter der ästheto-logischen Wende ist aber weder Frege noch Wittgenstein sondern Nelson
Goodman und dessen Schülerin, Nachfolgerin, geistige Erbin Catherine Elgin. „Referenz“ findet sich
in der Kunst, so Goodman, quasi auf den Kopf gestellt. Sie richtet sich nicht von der Sprache auf ein
Objekt (so wie es der Brockhaus will) sondern von einem Objekt auf die Sprache. Das Objekt gibt eine
Anschauung von einem sprachlichen Ausdruck, einer sprachlichen Konvention, einem sprachlichen
Mittel. Naheliegenderweise öffnet sich mit dieser umgekehrt-referenziellen, rückverweisenden Funktion
das sprachliche System für solche Anschauungsobjekte.
Doch ach ! Unseelige Vorläufer stellen sich hier rasch in den Weg. Die blökenden Unschuldslämmer
der Ostensionobjekte und -situationen [vgl. Herder, Über den Ursprung der Sprache] wollen auch in
diesem kuscheligen Sprachstall übernachten, wenn die Umkehrungen der Referenz es denn dürfen !
Inwiefern sind die „Muster“ Goodmans denn bitte etwas Besseres?
Tja. Darf man nun die Kunstgegenstände im Sinne einer echten Begriffsparadoxie privilegieren?
Sie sind weder beliebig noch zufällig, sondern als Einzelstücke sorgfältig ausgewählt oder – frecher – als
Einzelstücke sorgfältig reproduziert bzw. verdoppelt, um anschaulich und singulär zu exemplifizieren, -
was Anschauung ist – was andere Begriffe, die wir in Erfahrungen abgeschliffen sprachlich ausbilden,
bedeuten oder konnotieren können, wo ihre Bedeutung endet etc.
Es ist also tatsächlich das gegenwärtig im Handwerk des Irgendwie fußende Gelingen, ein Objekt aus
dem diffudierten Zufälligen herauszuheben und zum Einzelstück im Sinne eines Kunstwerkes zu
deklarieren, das auch tausendfach reproduzierte und gestohlene Objekte gegenüber der ostendierten
Schafsherde für das Prädikat des quasi Sprachlichen, Referenziellen prädestiniert.
Ein anderer Punkt ist, wie weit man das Paradox treiben mag: das kopierte Einzigartige geht noch hin;
das nur anschauliche Sprachliche wird schwieriger. Obgleich man an diesem Punkt wieder in Derrida's
philosophischem Colloquium sitzt, wo alle sich Bücher zeigen und dabei schweigen.
Wer Texte austauscht, tut - mehr – weniger ? BesucherInnen der documenta werden nicht behaupten,
Kunst nicht lesen oder verstehen zu können. So ungewiss wie das Verständnis eines philosophischen
Textes ist ungefähr auch das Ergebnis einer Interpretation eines zeitgenössischen Kunstwerkes,
unabhängig davon, ob man es mit einer grammatisch-semantisch regelgeleiteten Sprache zu tun hat
oder nicht. Für pauschal ungewiss, fragmentarisch oder nicht-nachvollziebar (weil „nicht von Gott“)
muss man 'weltliches' Wissen deshalb noch lange nicht halten. Das gezeigte Buch ist das Buch, das ich
sehe. Das gilt im Rahmen dessen, was ich als „Zeigen“ kenne, der jedoch hinreichend ist um von
Wissen zu sprechen. Im KERN ist, wie man nicht genug betonen kann – Derrida immer wieder
Positivist – darin liegt das Grundprinzip der De-Konstruktion, wie nur amerikanische
Literaturwissenschaftler immer wieder in Vergessenheit zu bringen bemüht sind. So wie also die Logik
weiß, was „A ist wahr und B ist wahr“ bedeutet oder auch „Weder A ist wahr noch B ist wahr“, so
sicher sieht man das gezeigte, gereichte, wörtlich herbeireferierte Buch vor sich. So auch das
Kunstwerk. Und dann beginnen die Strategien des Professors, das Pathos abzubauen und Schwung in
die Runde zu bringen, sich wichtig zu machen, die Universitäten zu retten – mindestens so, wie man in
Koranschulen autoritäre Religion locker vermittelt. Jeder darf etwas dazu sagen, was ihm wichtig
erscheint. Man spinnt Diskurse, die mal weniger, mal mehr Referenzen, mal schlechtere, mal bessere
Referenzen haben. Offensichtlich ist diese Vorgehensweise in der Kunstwelt ähnlich, nur mitunter
geist- und fantasieloser, mitunter zu offen und vielfältig organisiert. Lustigerweise ist der
Wahrheitsanspruch unabhängig davon, was man unter den Begriff der Referenz fallen lässt – z. B. nur
Gegenstände und Sachverhalte, Diskursinhalte, oder auch Fürsprecher. Der sich entfaltende Diskurs,
der „referentielle Gehalt“ eines noch so gestohlenen Kunstwerkes, wird nicht dadurch geringer, dass
man Fürsprecher und Sachverhalte brutalistisch dekategorisierend gleichsetzt. Wichtig ist lediglich – wie
in der klassischen Fregesemantik, dass die Referenztropismen („Tropismen“ als sprachlich schönere
Abwandlung des semantisch-ontologischen Begriffs der „Trope“, der – nicht rhetorisch – ein
ontologisch möglichst reduziertes, individuelles Stück Welt meint; keine abstrahierende Menge)
existieren – wenn denn das Appropriation Kunstwerk überhaupt Interesse an der Sprachlichkeit des
Kunstsystems zeigt und als referenziell verstanden werden will.
Aus diesem Impuls heraus lassen sich neuere Gegenwartskunstwerke, die von führenden Institutionen
wie der documenta, dem P.S.1 oder dem Metropolitan Museum of Art als „Appropriation Art“
bezeichnet werden, auf ihren exemplifikatorisch-sprachlichen Gehalt hin untersuchen. Es zeigt sich,
dass er weder beliebig noch im strengen Sinne kunstimmanent ist. Zugleich ist dieses referenzielle
Hinausweisen, das von der quasi kulinarischen Anschauung fortführt hin zu einem weiter greifenden
Anspruch der Kunst, ein freundlich-sozialer Aspekt der Kunst, der sie anhaltend, sei sie auch
theoretizistisch bis zum Extremismus, von schnell geistloser L'art pour l'art unterscheidet. Zugleich
würde man den meisten Appropriation Artists nicht vorwerfen, sie seien biedere Sozialdemokraten. Ein
wesentliches Merkmal, das ihnen hinreichende Asozialität sichert, um diesem Vorwurf zu entgehen, ist
eben das wunderbar Individuelle, häufig Privatistische oder Kleingruppige, das, im internationalen
Rahmen präsentiert, die Prinzipien der bürgerlichen sozialen Anspruchshaltung komplett unterläuft.
Beginnen wir mit dem Bett von Slotawa.
„[...]Das P.S.1 Zentrum für zeitgenössische Kunst stellt die erste Einzelausstellung in New York des
vorwiegend in Berlin lebenden Konzeptkünstlers Florian Slotawa vor. Anstatt neue Objekte aus dem
Nichts zu schaffen, arrangiert er und rekontextualisiert der Künstler Vorhandenes. In seinen
Kunstwerken sammelt und arrangiert Slotawa Mobiliar und alltägliche Objekte zu ausformulierten
Kompositionen, die auf ihre Ausstellungsräume und -umgebungen antworten.[...]
In seiner Ausstellung, im zweiten Stock der Mini-Kunsthalle, gestaltet Slotawa das zwölfte Stück seiner
Serie von 1996 begonnenen Arbeiten, die sogenannten „Besitzarbeiten“. Der größte Bestandteil der
Einrichtung seines Berliner Appartments, einschließlich seiner Waschmaschine, des Esstischs, der
Garderobe und der Spüle, wurden in die Galerie gebracht, sodass das Appartment ohne
Schlüsselobjekte und -möbel zurückbleibt.
In der Ausstellung werden diese persönlichen Objekte im öffentlichen Kontext wieder sichtbar - als
Material für ein Kunstwerk. Slotawa fügt neue Dimensionen zu bekannten Objekten hinzu, wobei er
eine Beziehung zwischen dem Künstler und der Institution des Museums herstellt. Diese
„Besitzungen“ werden während der Ausstellung weder verändert noch zerstört, und danach wieder
ihrem alltäglichen Gebrauch in Berlin zugeführt.
Florian Slotawa (geb. 1972 in Rosenheim, Deutschland) lebt und arbeitet in Berlin. Seine Werke hat er
in zahlreichen Einzelausstellungen vorgestellt, u.a. Solothurn aussen, Kunstverein Solothurn, Schweiz
(2008); One After the Other Arthouse, Austin (2007); Modern Art, London (2006); und Haus am Waldsee,
Berlin (2005). Gruppenausstellungen u.a.: Made in Germany (2007) im Sprengel Museum in Hannover;
und Of Mice and Men: The 4th Biennial for Contemporary Art (2006) in Berlin.
Die Ausstellung im P.S.1 wird organisiert von Susanne Pfeffer, Kuratorin am KW Institut für
zeitgenössische Kunst und kuratorielle Beraterin des P.S.1 Zentrum für zeitgenössische Kunst.
Die Ausstellung wird unterstützt durch das Institut für Auslandsbeziehungen e.V., Stuttgart.
Zusätzliche Unterstützung wird vom Beratungsgremium für zeitgenössische Kunst des Museums of
Modern Art (New York) gewährt.“
Von Slotawas Bett zu Cindy Shermans Doll's House:
„In den späten Siebzigern, als man auf die Bildwelten-KünstlerInnen zunehmend aufmerksam wurde,
war eines der umstrittensten und zugleich gemeinsamen Merkmale die Entlehnung oder „Aneignung“
von Bildern aus jedem Bereich der zeitgenössischen Kultur.“ (aus dem englischen Zitat zu Cindy
Sherman) Ausstellung „The Picture Generation“, www.metmuseum.org.
Cindy Sherman, obgleich eigentlich offensichtlich weder Kopistin noch Referendarin, setzt sich mehr
klassisch – z.B. in den „History Portraits“ mit der normativen Kraft kunsthistorischer Traditionen
auseinander. Vergleichbar sind Louise Lawlers fotografische Studien zum Umgang mit Kunst bei
privaten Sammlern, die Inszenierung von Kunstwerken in ihren Häusern, die sie in einer Fotoserie
dokumentierte. Gemeinsam ist diesen Künstlern die bewusste Bezugnahme auf Vorgaben in der Kunst
– aber, so könnte man sagen, das hat Dürer „auch gemacht“ - man denke insbesondere an die Allegorie
der Malerei, die bei Dürer nicht als reine Zusammenstellung von Symbolen als
„Behauptungsinstrumentarien“ auftritt – wie der mittelalterlich-handwerkliche Zweig die Kunst
verstand – sondern als quasi wissenschaftliche, der Geometrie vergleichbare Disziplin, die sich durch
die reale Exaktheit und Intelligenz ihrer Ausgestaltung beweist bzw.- beweisen muss.
Auch in den kritischen Reflexionen von Sherman und Lawler geht es um normierende Funktionen von
Kunst als Diskurs, der soziale Konventionen und Symbolismen festigt, bestätigt oder auch unterläuft.
Die Bezugnahme auf Kunst in der referenziellen „Aneignungskunst“ bzw. „Bezugnahmenkunst“ ist
insofern nahezu nie ein kunstimmanentes Unterfangen.
Mehr in Richtung richtiger Appropriation und Kunstimmanenz gehen die Kopistenspiele der „jüngeren
Generation“, die in unterhaltsamer Weise die Rolle des Werkstatt-Schülers kopieren und sonst vor
allem eine Art Etüde zu der radikalen Subjektivität darstellen, wie man sie bei Florian Slotawa findet:
„* Die Künstlerin Sherrie Levine wurde 1979 bekannt mit einer Appropriation der Fotografien von
Walker Evans, die sie aus Bildbänden abfotografierte und unter dem Titel "After Walker Evans", aber
unter ihrem Namen ausstellte. Im Jahr 2001 wiederholte Michael Mandiberg diese Aktion: Er fertigte
fotografische Kopien von Sherrie Levines "Re-Fotografien" an und präsentierte sie unter dem Titel
"After Sherrie Levine".
Der japanische Künstler Yasumasa Morimura inszenierte sich selbst nach Fotografien von Cindy
Sherman, auf denen sie sich selbst in verschiedenen Verkleidungen und Rollen porträtierte ("Film
Stills"). Da Sherman als Frau auf ihren Bildern oft in männliche Rollen schlüpft, Morimura jedoch
als Transvestit auftritt, wird das Verwirrspiel geschlechtlicher Identität noch weiter gesteigert.“
Zur Appropriation Art, die Werke bekannter KnstlerInnen, SchriftstellerInnen und PhilosophInnen
reproduziert und neu arrangiert, gehören auch die Kioske, Altäre und Monumente von Thomas
Hirschhorn.(2)
Signifikant ist, dass das Interview der neuen Züricher Zeitung zum Oberthema „Der Traum vom
Buch“ mit der Frage eröffnet, „Das erste Mal -- Was soll der Professor sagen, Herr Hirschhorn?“
Referenzen also, verwirrte Neuroinformatiker und „Hermeneutik“ im tiefsten Sinne :). Hirschhorn
selbst auf jeden Fall kopiert zwar offensichtlich den hysterisierenden Ton von Ingeborg Bachmann,
sieht sich aber nicht als immanenten Kopisten oder Über-Treffer, sondern als politischen Künstler, der
– wir deuteten es an – mit seinen Kunst-Kiosken Menschen mit zeitgenössischer Kunst erreichen und
politisch wirken will.
Ein Umbauprojekt, das ein vorhandenes, wenn auch todgeweihtes Kulturexempel einfach kopiert und
verlagert, ist die Präsentation der finnischen Produzentengalerie Kling & Bang aus Reykjavik, die die
kultige Bar „Sircus“ aus Reykjavik auf der englischen Kunstmesse Frieze nachbauten :
"Frieze Projects 2008, Kling & Bang
Sirkus, a bar in the scruffy downtown area of Reykjavik, was demolished this spring after serving for
nine years as a living landmark and the hub of the city’s alternative arts scene. Kling & Bang, a gallery
run by eight enthusiastic artists, not only helped the owner save the bar’s façade and interior, but also
resolved to bring it to the UK and re-erect it at Frieze Art Fair. In an echo of the travelling circus
invoked by the bar’s name, this place of celebration and creation moved town for a few short days."
Quelle: http://www.friezefoundation.org/commissions/detail/kling_bang/
Selbstverständlich ist auch dies Appropriation im reinsten Sinne. Es ist zugleich – schon wegen des
Misstrauens in die Theoretizität des Werkes, das uns näselnde Mitteleuropäer angesichts finnischer
Trunksucht und Kaurismäkischer Kicherkultur erfasst – das Appropriation Objekt, dem wir am
ehesten Sprachlichkeit absprechen würden. Das ist – jedoch – vielleich falsch. Vergleichen wir den
Vorgang des Rebuilds auf der Messe mit dem stumm-kommentarlosen Vorzeigen von
Bibliotheksfolianten im Colloquium, sehen wir: beide Handlungen sind insofern sprachlich,
exemplifikatorisch mit dem Singularitätsmerkmal, das Sprachlichkeit des aktiv exemplifizierendreferierenden
Objekt ermöglicht (obgleich einstmals oder auch Ostensionsobjekt), als sie als
Referenzen Objekte vorzeigen, die Sprache und Diskurse speichern. Natürlich ist das im Falle eines
Buches unumstrittener. Im Fall von Sircus ist es dennoch ähnlich. Man denke an Augustinus und
Wittgensteins erste Überlegungen in den Philosophischen Untersuchungen: Das Augustinische
Sprachbild fasst Sprache als Mittel auf, um seine Wünsche zu äußern. Einfache Wittgenstein -
Interpretationen sehen das Augustinische Sprachbild als das von Wittgenstein in den P.U.s abgelehnte.
Dies spitzt schon eine Position zu, die den späten vom frühen Wittgenstein scharf unterscheiden
möchte. Differenziert betrachtet, sind es vor allem nicht die individuellen Wünsche, die Sprache
konstituieren - wie das Kinderschreien. Beten wir es herunter: Erst das Herannahen der Mother's
Breast vermittelt dem Kind die konstitutive Gewissheit, dass das Herumschreien ihm etwas bringt, dass
es als sprachliches Instrument geeignet ist. Von Tieren wissen wir, dass die Konnektierung von
sprachlichem Zeichen, beliebiger Handlung und Lustgewinn nicht aus der persönlichen
Bedürfnissituation heraus motiviert sein muss. Sircus, eine Künstlerkneipe in Reykjavic, steht natürlich
in Verdacht, diese Prinzipien der sprachlichen Konstitution, des „Systemgewinns“ umgedreht zu
haben. Also Lusttempel des Lallens und der stummen Selbstreferenz gewesen zu sein. Als solches
Projektionssymbol kann man der nachgebauten Kneipe „Sircus“ ungefähr den Status eines
belletristischen Buches zusprechen, vor allem den eines realen Ortes der Konstitution von
Kunstdiskursen. Sircus war eine Art Mutterbrust der Reykjavicschen Kunstszene. Das Vorzeigen sagt
darüber nicht mehr als „So etwas gibt es“ – bzw. „so etwas wird nicht unterstützt – gibt es jetzt nicht
mehr“. Im Colloquium also das ergreifend schöne oder intelligente, übersehene Buch, bei dessen
Vorzeigen sich das Pathos des Schweigens ins Unerträgliche steigert.....in Anlehnung an das
Privatsprachen-Argument in klassischer Lesart kann man nun sagen, dass tatsächlich das Pathos
unerträglich wird, wenn eine rettende „Antwort“ im Sinne der Mutterbrust nicht möglich ist – weil sie
kognitiv oder linguistisch nicht verfügbar oder erreichbar ist. Dieses Prinzip ist – quasi ebenfalls –
konstitutiv für Prinzipien der Exemplifikation, insbesondere im Religiösen Bereich, der sich ja
herausnimmt – insbesondere in der katholischen, liturgischen Praxis – „Antworten“ als inädaquat oder
minderwertig abzulehnen (nahezu grundsätzlich als „eitel“ - wozu Kunst ebenfalls seit Jahrhunderten
beiträgt). In solchen Fällen wird also Sprachlichkeit, d.h. auch, die Möglichkeit, eine exemplifikatorische
Referenz in einen existierenden Diskurs einzubinden, unschuldig (Reykjavic) oder gezielt verweigert
(Religion). Diese Art der Exemplifikation ist, selbst wenn sie sich gerade nicht auf reine
Anschaulichkeit zurückzieht, nicht sprachlich. Vielleicht ist diese Art der unmittelbaren Präsentation in
der Appropriation – also die den Kontext nicht theoretisch einbeziehende pathetische Verlagerung –
nicht einmal referenziell. Da die Kneipe ja wirklich wiederentsteht, nicht nur darauf durch eine Kopie
verwiesen wird, jedoch das Mutterbrustprinzip der Antwort und des Diskursgelingens fehlt. Man
könnte hier mehr von einer selbstreferenziellen Ostension sprechen – wie ein Schaf, das plötzlich,
während man noch mit dem Finger auf es zeigt, zu blöken beginnt. Sieh mal, mir geht es gar nicht gut,
meine Füße sind auf der Wiese angefroren, könnt ihr bitte etwas dagegen tun, anstatt über Kunst und
Sprache zu debattieren. Na ja, im Sommer nicht...vielleicht in Finnland.
(1) www.arts-on.com
(2) http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/45aa0d00-ba16-49db-85d6-2dfa3485361a.aspx
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